08.28.  213425                                       daheim in München

Summe:        3455   Kilometres               250,68 Diesel

Mima hat ihren Transporter 1998 gekauft, als er fünf Jahre alt war. Wir nennen ihn ''Blau Wal''. Verglichen mit den luxuriösen Schlitten in einer reichen Stadt wie München ist das Auto alt, langsam und laut.

Doch wieder einmal fährt uns der Wagen nach Nürnberg, zu meiner Tocher Esther und ihrem Freund Ingo, weiter nach Bamberg, zu Mima's Bruder Christoph, zu meiner alten Mutter in Bad Laer. Dort genießen wir das salzige Wasser Samstag und Sonntag.

Mima, meine Tochter Esther und 
''Blue Whale''  in Nürnberg

Denkmal des letzten Deutschen Kaisers: Wilhelm, II

Das Rentnerpaar verbringt den Sommer in ihrem Wochenendhaus mit 400 Quadratmeter Garten. Solche Sommerhäuser kosten etwa 15.000 Euros mit Küche, Schlafzimmer, Toilette mit Dusche und einem kleinen Wohnzimmer. Das Dach ist erneuert, der einfache Honda hat auch schon 13 Jahre auf dem Buckel, und der Besitzer zeichnet mit der Hand einen Kreis um seinen Bauch und verkündet stolz: ''Dies hier gehört mir, und mehr will ich nicht.'' 

'Dies hier gehört mir, und mehr will ich nicht.''

Meistens sind die Jungen gegangen

So ''machen'' die Jungen ''rüber in den 'Golden Westen''

Seitdem Deutschland vereinigt ist, gibt es nicht mehr genug Jobs in Ostdeutschland. So ''machen'' die Jungen ''rüber in den 'Golden Westen'' oder arbeiten in Österreich oder Holland, wo immer es Jobs für sie gibt.

Jugendliche haben die Alte Mühle in Brandenburg abgebrannt.

am nächsten Morgen schwimme ich in einem der Seen.

Mima hat auch starke Kopfweh. So ruhen wir uns den Montag in Plaue nahe bei der wunderschönen Havel aus, nachdem wir eine geführte Tour durch Brandenburg bekommen haben. Fischreiher fliegen umher, am nächsten Morgen schwimme ich in einem der Seen.

Wir beobachten wilde Tiere wie in ihrer Freiheit: Elche

Am Nachmittag halten wir in Templin. 14.000 Menschen leben dort. Ein Natursolebad ist nach der Einigung von EU-Geldern aus dem Boden gestampft worden.

25 % der Einwohner in Templin sind arbeitslos. Daher sind die Preise wirklich ''nett'': Ein Herrenhaarschnitt kostet in München 15 Euros, beim türkischen Barbier dort acht, doch in Templin vier Euro. Essen in einem preiswerten Restaurant gibt es ab 2,95 Euros - beinahe Preise wie in Indien. Die neue Therme Templin is ein teures Vergnügen für die Verhältnisse: Zwei Stunden kosten 9 Euros. 



Templin: das neue Café liegt im Alten Gefängnis

150 Kilometer nordöstlich kommen wir ans Meer in Kolberg

Nächster Halt ist ''Ruegenwalde'' (Dartowo). 

Einige Straßen sind in einem erbärmlichen Zustand. Aufgelassene Bahngleise kreuzen die Fahrbahn, so dass wir in den zweiten Gang zurückschalten müssen. Auf der großen Strasse nach Danzig kreuzen die Eisenbahnschienen mehrmals. Ein Stopp-Zeichen unterbricht dann den Straßenverkehrsfluß.

Nächster Halt ist ''Ruegenwalde'' (Dartowo). Ein einfacher Camping Platz neben dem Flüsschen ''Wieprza'' kostet 6 Euro, weniger als eine Person in Deutschland zahlen müsste. Die sanitären Anlagen sind im Glashaus einer Gärtnerei untergebracht. Im Fluß gerade vor unserm Wagen tuckern regelmäßig Touristenboote vorüber. Zwei Kilometer weiter liegt der belebte Strand.

Das Meer ist viel sauberer als in Kolberg. Aus 1,5 Metern kannst Du auf dem Grund durch das grau-grüne Wasser noch Deine Füße sehen.

Der nächste kurze Freitag-Tripp bringt uns gerade einmal 150 Kilometer weiter nach Leba, am Rand des Stowinski Naturpark (www.ambre.leba.info). Der lange weiße Sandstrand lädt Tausende ein. Wieder einmal unglaublich auf die Spuren des Zweiten Weltkriegs zu stoßen: In diesem Naturpark, heute einem Schatz des Weltkulturerbes, haben die Nazi Experten Raketen konstruiert und getestet. Wir wandern um die dunklen Ruinen dieser grausigen Zeit. 

Wir wandern um die dunklen Ruinen dieser grausigen Zeit. 

Samstag erreichen wir die Halbinsel Hel, ein belebtes Surfparadies. Die ersten Camping Plätze sind besetzt. Nach einigen Kilometern finden wir einen freien, sehr einfachen Platz. Wir stehen fünf Meter vom Meer an der Danzig Bucht. Bis in die Dämmerung, 21.00 Uhr, genießen einige Surfer ihren Sport.

Eine alte Bahn bringt Hunderte zu den herrlichen schneeweißen Stränden. Das Essen ist preiswert und sauber, das Bier schmeckt auch. Für 10 Euros erhalten wir ein komplettes Abendessen mitsamt Getränken.

 Für 10 Euros erhalten wir ein komplettes Abendessen mitsamt Getränken.

Der Sonntag ist Danzig gewidmet. Eine unglaublich wundervolle Stadt! Tausende wandeln durch die Fußgängerzone. Jahrhunderte lang haben die Reichtümer der Bürger wunderbare Gebäude, Kirchen und Denkmäler geschaffen.

Wir parken nur etwa drei, vier Kilometer entfernt vom alten Stadtkern für gerade einmal 20 Zlotys, etwa vier Euros. Dort achtet der Wächter mit drei großen Hunden hoffentlich darauf, dass uns und unseren Siebensachen nichts in der Nacht passiert. 

Wir spazieren mit offenen Augen und Mündern stundenlang durch die Stadt. Hunderte von Digitalphotos sollen meinem Gedächtnis helfen, diese inspirenden Impressionen zu speichern.

Das gehört zu den historischen Tatsachen in Polen, der unvorstellbare mörderische, schreckliche Überfall der deutschen Truppen während dem Zweiten Weltkrieg: beinahe 90 % der inneren Altstadt sind während der letzten Kriegsmonate durch die russisch-deutschen Kämpfe zerstört worden. Es klingt pathetisch, doch es ist Tatsache: Seit Jahrhunderten ist die Erde mit Blut getränkt.

Der heisse August Sommersonnenwind fegt diese dunklen Wolken historischer Tatsachen fort. Die Menschen kaufen, verkaufen, essen, trinken, spazieren, träumen, gerade so wie wir.. 

Die Gedanken wandern zurück zur Geburt und Jugend, den Schultagen meiner Mutter, ihrer Schwester, ihrer Familie, die alle Danzig 1945 verlassen mussten. Meine Mutter hat meinen lieben, alten, verstorbenen Vater in jenen Kriegstagen in Paris, im Jahr 1943 oder 1944, kennen gelernt. Nun spricht sie nicht mehr über die Zeit, als sie eine junge Frau mit 20 Jahren war.

Die Mädchen heute zeigen ihre Schönheit wie überall, um jungen und alten Männern zu gefallen. Der ganze sonnige Sonntag verbreitet Gefühle von Friede, Freude, Glückseligkeit. Die einzigen Wolken steigen aus den Kaminen von Fabriken oder den Auspuffrohren von alten Bussen und Schiffsdieseln mit schwarzem Ölschmauch.

Wir machen in einem vornehmen Restaurant am Ufer der Motlaw Rast (www.tawerna.pl). Das alte Krantor aus dem Mittelalter vermittelt einen Eindruck, wie emsig wuselnde Menschen diese Schätze vor Jahrhunderten schon geschaffen haben. In zwei gewaltigen Laufrädern gingen Männer, um bis zu 2000 Kilogramm aus einem Schiffsbauch in den Hafen zu hieven.

Weitere Stunden ruhen wir uns auf einer Schiffstour zur ''Westernplatte'' aus, wo ein deutsches Schiff mit den ersten Schüssen den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte. Ein gewaltiges Denkmal erinnert an den heldenhaften Widerstand der Polen zehn Tage lang gegen die überwältigende deutsche Wehrmacht in jener Zeit.

Jetzt können die Menschen die Schifffahrt unterbrechen, um friedlich im Meer zu schwimmen. Wir kehren in die Stadtmitte zurück und wechseln wieder Geld, um unseren Luxusurlaub und freudvolle Besichtungen zu bezahlen.

In dieser Nacht bringen mich meine Gefühle das erste Mal dazu, zu schreiben. Die Nacht ist zum Wortwälzen am besten geeignet: Die Fantasie fließt freier, ungestört vom Lärm des Tages. Die Nacht öffnet die verborgenen Quellen zu den tiefer bewußten Gedanken, die Nacht verbindet mit den Geheimnissen der Natur, deren Teil wir alle sind.

Die drei großen Hunde beschützen diesen Parkplatz nahe der Stadt. Haben die drei großen Hunde irgendjemanden im grünen Parkgebüsch hinter dem Auto gewittert? Die drei großen Hunde hören nicht auf, zu bellen.

Die Nacht zuvor hat sanft der Mondenschein über das Meer geschimmert, Disco Klänge hämmerten durch die Stern klare Nacht, diese Nacht komponieren die Hunde auf schwarzem Aschegrund mit einem Zug von der Bahn im Hintergrund ihre Symphonie.

Die blut-brut warme Mimamai jagt wieder einmal alle Sorgen fort, weil sie einen Grund für die bellende Hunde Aufregung findet: Diese haben ein Tier gewittert.

Danzig befeuert die Fantasie: Ein russischer Panzer als Denkmal wird gerade diesen Sonntag, als wir kommen, frisch gespritzt. Adolf Hitler schreit am 30 April 1945 mit überschlagende Stimme: ''Haltet die Festung Danzig bis zu eurem letzten Blutstropfen!''

Diese Kämpfe haben 90 % des Herzens der Altstadt zerstört, wieder belebt aus allen Ruinen von den Polen, nachdem sie die letzten 124.000 verbliebenen Deutschen fortgejagt hatten. Die Spuren des Zweiten Weltkriegs sind noch überall in Europa zu finden, die Geschichte ist förmlich Tag und Nacht zu spüren.

Bei unserem Abendspaziergang fasziniert mich eine Omega Uhr in einer Kristallkugel. Für 100 Euro belastet ein Besitz mehr mein Leben.

Polen scheint noch nicht gerade ein Land zu sein, in dem Camping Reisende gewohnt sind. Jedenfalls weist unsere Karte kaum Campingplätze auf dem langen Weg nach Süden aus, zurück in das nächste östliche Land, die Tschechai.

Für uns, Mima und mich, sind die Straßen über die deutsche Grenze nach Dresden oder Chemnitz fremder als manche Straßen in Indien wie z. B. von Bombay nach Poona. Welch eine glückliche, friedliche Entwicklung es doch ist, in Freiheit um unser Land reisen zu können! Trotzdem strahlen einige holländische und polnische Menschen noch herabwürdigenden Rachegedanken bis hin zu Haß aus, ähnlich wie deutsche Neonazis alles fremd Empfundene wegbeißen. Ob diese Gefühle Einbildung, Fantasie oder Tatsachen entspringen?

60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind noch nicht alle zerstörten, zerbombten Häuser restauriert, wie können die verwundeten Herzen heilen?

Der Solidarnosc Streik der Werftarbeiter in Danzig, der polnische Papst, das Freiheit liebende, kämpferische polnische Völkchen hat hunderte Menschenleben 1980 in Danzig geopfert. So kam es zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Polen. So kam es zur Vereinigung von Ost- und West-Deutschland 1989.

Doch wie können Kriegswunden heilen, wenn die Mordfabrik Auschwitz mit dem verbrecherischen Nazi Wahn gebaut wurde, um täglich 5.000 Menschen zu beseitigen?

Die Wachhunde am Parkplatz schlafen wieder, Mima's sanfter Atem klingt gleichmäßig hinter mir. Ich sitze und schreibe in ihrem alten VW Transporter ''Blau Wal''. Wir beide mussten aus dem neuen Fenster ein gut gefülltes Glas Urin ausschütten. Parfüm für die fetten Hunde vor'm Fenster.

Wie ist die Welt doch wunderbar, wie spannend doch das Leben! Ein Gebet brennt über allen bösen Gedanken in dieser blutgetränkten, doch blühenden Natur, in uns, wieder und wieder: ''FRIEDE, FRIEDE! FRIEDE?''


Gibt's einen höheren Schatz?

Shalom.

Shalom Gdansk.

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