back 2 "enlightenment" (III)

25. Kraftvoller Kult

Bhagwan ist nicht mehr im Ashram. Die Priester, mehr oder minder neurotische, geschäftstüchtige Therapeuten, zahlungskräftige New-Age-Traveller im Club Meditation versuchen, Wahrheit von Video-Konserven nachzubeten.

Priester verkaufen Wahrheit aus Büchern oder mit ritualisierten, aber wirksamen Meditationstechniken. Der Mensch liest, hört und sieht in sich das, was er will. All das reinigt Dich erst mal grob von Deinem Erziehungs- und Bildungsballast.

Du lernst, Dich wenig angenehmer und glücklicher zu fühlen, Dich und die Umwelt mit weniger Vorurteilen zu sehen.

Pilger nach Lourdes, in den Vatikan, zur Kaaba, in den Poona-Ashram gewinnen nachweisbar an Wohlbefinden. Schon weil sie weniger Suff-Rausch, Sonnenbrand, Hitzschlag und überfressene Wänste mit Heimschleppen müssen als einige versoffene Mallorca-Flieger zum Beispiel.

Wenn sich alternde Poona-Pilger zu den Klängen des Rajneesh-Orchesters in der Buddha-Halle im Walzer-Takt wälzen, ist das ein erhebendes Massenerlebnis. Wer seinen inneren Spott dabei nicht hört, mag dabei sogar ein Erweckungserlebnis feiern, Samadhi im Buddha-Hallen Walzer Takt.

Seit 10, 20 Jahren konditionierte Sannyasin haben ohnehin mit keiner Massenveranstaltung Probleme. Sie genießen den spirituellen Gleichschritt in WRB ebenso wie Ringelpietz mit Anfassen. Mit Lieder- und Tanzabenden heben sogar Alten- und Pflegeheime das Sterbensgefühl.

Katha Kali Dance, Kerala (Postkarte 1985)

Aus Bhagwans aufgezeichneten 9000-Stunden Botschaften lässt sich sicher das passende Zitat einblenden, was jeder Veranstaltung den spirituellen Überbau, gleichsam fundamentalistisch, fromme Ideologie verpasst. Fromme Heiligkeit erleichtert Leben und Sterben.

Gibst Du den frommen Pilgern dann noch einen vollen indischen Arbeitstag im Ashram mit Vergünstigungen, kannst Du auch der arbeitenden Bevölkerung gleichsam einen geachteten, spirituellen Kinder- und Abenteuerspielplatz bieten. Fast jeder kann sich die Peinlich- oder Festlichkeiten von abendlichen Buddha-Hallen Theater ersparen oder leisten.

Wem die Suche wichtig ist, mag sie auch mit Gleichgesinnten in der Arbeitsmeditation finden. Doch was gewinnst Du, wenn Du die Suche findest?

Jugendlichen Energieüberschuss kann der fromme Sucher ab 6.00 Uhr im Buddha-Hallen dynamischen HuHu-Gehopse verbrennen. Auch damit wirfst Du Ballast ab, gehst befreit und glücklicher in den Tag. Ein tägliches, wohliges Gelingen garantiert Dir die bunte Ashram-Mischung aus Meditation, Sonne, Speisen und bunten Gesprächen mit Freunden aus aller Welt.

Die gekühlte Samadhi-Pracht mit einer echten RollsRoyce-Ikone am Eingang braucht sich neben anderen Heiligtümern der Weltreligionen nicht zu verstecken. Zum modernen Denkmal gehört das Fahrzeug wie zum Hünengrab das Pferdegeschirr. Doch gekühlter Kult muss keine heißen Erweckungserlebnisse garantieren oder verhindern.

Das von Bhagwan selbst ritualisierte WRB-Verfahren jeden Abend demonstriert Einigkeit im Herrn. Spirituell entspannt verschafft Dir ein maßvoller Abendumtrunk in der Meera-Bar die nötige Bettschwere. Der tanzende Zorba bringt die andächtig empfängliche Frau Buddha zu Bett.

Götter über Götter: der Elefantengott (Postkarte)

Vielleicht überdauert die Rajneesh-Religion sogar die Jahrhunderte. Zwar fehlt Nachwuchs, Taufe, Jugendweihe, dergleichen. Doch vielleicht versorgt das Sakrament der Mala-Verleihung die vergreisende Religionsgemeinschaft mit frischem Blut. Genug zum Nachbeten gibt es ja.

Ohnehin sind ein Großteil der Pilger am spirituellen Millionengeschäft in der einen oder andern Form beteiligt, wenn sie überhaupt zu arbeiten nötig haben. Das spirituelle Angebot kannst Du von jedem Bhagwan-Center Vierfarb-Katalog abtippen: Reiki, Rebalancing, Carniosacral, Tibetan Pulsing, Light Accupuncture, Bhagwan Neo-Tarot, Bhagwan Neo-Astrologie, Bhagwan intensive Enlightment, Bhagwan spirituell Tantra, Bhagwan Omo wäscht schwarze Flecken aus der weißen Seelenweste.

Die Kalindi Masche aus San Diego taucht sogleich hier als "path of love" auf. Nur dem Urheber, dem Erleuchteten Bhagwan selber, soll nichts folgen dürfen. Kann wohl auch nicht, 100000 Jahre lang nicht.

Es ist einfach ein Ausgleich der Kräfte. Die Demonstranten vor dem Wiener Opernball sind so notwendig wie die Kritik am Ashram.

Genug wäre schon erreicht, wenn beides friedvoll miteinander sein könnte.

Die muffligen Morgengesichter auf dem Weg zur Seelenarbeit sind zu verschmerzen. Du kannst Dich nur wundern über das Gedränge beim Frühstück nach der Dynamischen. Schon morgens um 7.00 ist im Ashram die Welt nicht in Ordnung.

Doch das ist egal, solange Du in Ordnung bist.

Da erst ab 9.00 Uhr Robe Pflicht ist, fällst Du doppelt auf: Erstens bist Du schon morgens glücklich und zweitens noch in Zivil.

Glück zu teilen, vermag nur der Glückliche. Zwei junge Inderinnen in Rot freuen sich mit Dir über das Geschenk des Tages und einer freudvollen Begegnung. Wenn Du unglücklich meditierst, meditierst Du über Dein Unglück. Wie sollst Du davon glücklich werden, obgleich es nicht ausgeschlossen ist?

Sich meditativ der Wirklichkeit nähern, heißt glücklich, den Augenblick genießen.

Was Du sonst hörst, lehrt Tyohar zu vertragen. Gesprächsbrocken vorbeifahrender Radfahrerinnen mit verklemmten Gesichtern fliegen Dir zu:

"Der saugt irgendwie Energie",

Wer, was, wie, wo und warum bleiben Dir gleichgültig. Die Szene, so gespenstisch sie sein mag, hat Kult-Charakter. Sie wiederholt sich am Tag beliebig oft mit wechselnden Darstellern, verschiedenen Sprachen.

Deine Sätze hier werten ohnehin kräftig mit. Aber das allein ist es nicht mehr.

Bier: 7,5 Prozent Alkohol 

Du bist zum stillen, einsamen Genießer geworden, dessen Geschick mit Tyohars Schulung wächst, diese melodramatischen Auftritte als Späße auf einer kosmisch-komischen Bühne zu sehen.

Religion findest Du im Ashram zum Totlachen. Aber Menschen wie Tyohar kannst Du dort suchen wie die Nadel im Heuhaufen.

Bhagwan ist längst aus dem Ashram ausgezogen wie aus seinem Körper. Wer wirklich sucht, muß weiterwandern. In Poona nur 1,7 Kilometer weiter - auf das Dach von Tyohar vielleicht?

Ob das Copyright der Bhagwan International Commune auf dessen Energie, Bewußtsein, Samadhi, Nirwana, Erleuchtung gilt, bleibt zweifelhaft.

Jedenfalls kannst Du bei Tyohar aussprechen, was immer Du willst. Im small Satsang fragt ein italienischer Swami:

"Ejakulierst Du beim Sex?"
"Warum willst Du das wissen?"
"Ich bin einfach neugierig."
"Dann bleib' neugierig. Ich liebe neugierige Leute. Die kommen wieder."

Geschickt antwortet der Swami ins allgemeine Gelächtern:
"Es ist natürlich auch ein spiritueller Hintergrund in meiner Frage."
Jedenfalls kommt bei dem lebhaften Wortwechsel heraus, was zu erwarten war. Der Italy-Swami kann es besser, beherrscht eine spirituell reifere Technik und nützt seine Energie vollständiger.
Was wäre sonst noch zu fragen oder zu klären? Der junge Mann Tyohar hat nichts zu verbergen.
Einen aufrechten Diskutanten hat er grob abgewiesen. Er solle nur kommen, wenn er wirklich Wahrheit wissen will. An gelehrten Disputen bestehe kein Bedarf.
Mit derartiger Ansprache reduzierte er die Anzahl seiner Dachgäste um etwa ein Drittel. Dafür stieg die Intensität des Satsangs wieder.
Der Bhagwan-Kult hingegen läuft während der Festtage auf Hochtouren. Die Buddha-Halle beginnt sich, schon ab 18.00 Uhr mit den Menschenmassen zu füllen. Ab 18.30 Uhr verkleinert der Ashram seinen Haupteingang, um ihn ab etwa 18.40 Uhr zu schließen. Alle weißen Robenträger müssen dann in der Buddha-Halle sein, und alle tragen weiße Robe.
Die Halle ist mit etwa 5000 Menschen voll bis zum Bersten. Das etwa über 100 Minuten lange Video der abendlichen WRB verkauft der Buchladen auf zwei Cassetten a 80 Rupees.
Sie zeigen das Video in zwei Teilen mit viel Live-Musik davor und Bhagwans langem Tanzgang durch die Gasse ausgewählter Jünger.

Die religiös ergriffenen Menschen bejubeln die Aufführung des Videos wie den Erleuchteten selber, damals vor 12 Jahren. Wenn etwa 5000 Menschen von Bhagwan dirigiert im Takt klatschen, dreimal "Bhagwan" rufen, schweigen und dann auf Trommelschlag das Video sehen, fühlst Du in der WRB Bhagwans letztes Vermächtnis.

Dass sich dort jemand mit weit geringer Bildung wie Tyohar als Erleuchteter neben Bhagwan behaupten kann, bleibt ausgeschlossen. Er dürfte vielleicht als fleißiger Mitarbeiter, bestenfalls als Therapeut einen Job im Betrieb bekommen.

Den wenigen Verschworenen auf dem Dach ist ein lebender Mini-Meister lieber als der übermächtige, verstorbene Übervater aller Erleuchteten Bhagwan.

Allein schon beide Veranstaltungen in ihrer absoluten Gegensätzlichkeit durchzustehen, kostet Kraft. Wer sich bei Tyohar wohl zu fühlen beginnt, dem graut im Gedränge der Buddha-Halle.

Denn gegenüber dem spontanen Tyohar Live-Satsang erscheint die WRB als rituell organisierte Konserve, perfekt zwar, aber gleichsam blutleer. Die Aktualität haben zwar 12 vergangene Jahre kaum vermindern können, doch wer schafft damit endlich den letzten Sprung zur Erleuchtung?

Anders gefragt: Darf es neben Bhagwan einen Erleuchteten geben? Im Ashram wohl kaum. Aber dass im Ashram Menschen zu Erleuchteten reifen, wird sich kaum verhindern lassen.

26. Leben und Lassen