back 2 "enlightenment" (III)

26. Leben & Lassen


Wenn wir das schaffen, ist es geschafft. Es hört sich so einfach an:

"Leben und Leben lassen."

Doch das Einfache ist schwer. Denn zum Einfachen gelangst Du nur, wenn Du Deine Knoten aufgelöst hast.

Diese Knoten hindern gleichsam wie in einem verknoteten Rohr den freien, schnellen Fluss Deiner Energie.

Jedes Urteil, jede Wertung, ja jede Gefühls-, Gedanken- oder Traum-Verwicklung verheddert, verhindert den Fluss Deiner Kraft, Deines Glücks, Deiner Zufriedenheit, Deiner Liebe zu Dir und zu andern.

Ob Du nun hier im Ashram sitzt und Deine Gedanken im Gespräch auswickelst oder mit Dir selbst abzuhandeln versuchst, alle sitzen hier mit einer Absicht: ihre Knoten zu lösen.

Diese Einigkeit in der Absicht macht die unvergleichliche Wonne des Platzes aus. Plätze mit Tausenden Suchern nach Selbsterkenntnis gibt es nur selten, vielleicht nur einmal, vielleicht nur in Poona, vielleicht nur im Ashram.

Sollten hier wirklich mehr Bhagwans Worte so verstanden haben, wie Du sie zu verstehen Dir herausnimmst, dann haben wir es geschafft: Die Kommune arbeite wie ein lebender Organismus ohne Hierarchie, in der sich der Einzelne nach seiner Kraft, seinem freien Willen entwickeln möge. Die Kommune bilde den Boden, dem Du Deine Saat gleichsam anvertrauen kannst. Du selbst wirst staunen, was und wie Du wachsen kannst.

Dass abends, als Du zum hinreißenden Sitar-Konzert von Swami Pandit Nityanand Haldipur ankommst, Ma Jivan Fulwarei die Halle verläßt, sind ebenso "zufällige" Begegnungen wie die, dass Du morgens beim Frühstück der roten Lilith gegenüber sitzt.

Ma Fulwarei sieht wieder traurig aus, was Dich ansteckt. Doch noch reichen die Anziehungskräfte nicht, Deine Füße, die zum Konzert streben, zum Anhalten vor ihr zu zwingen.

Wie sich die rote Lilith von ihrem Frühstückstuhl erhebt, fühlt ihr beide - bildest Du Dir ein. Noch ruht das Verlangen bei Dir, lässt leben, lässt lieben. Du genießt entspannt Deine Einsamkeit. Doch es wird schwerer.

Pferdefuhrwerk auf der Landstraße

Wer gleichsam als kleiner Baumsprössling die Baumschule Ashram verlässt, soll mit eigenen, verstärkten Anstrengungen wachsen. Bhagwan wuchs ebenso mit jeder Lesung wie Tyohar. Voriges Jahr noch saß Tyohar den ganzen Winter mit fünf Getreuen auf dem Dach. Schon bald waren deren Fragen erschöpft, jetzt kommen dort 150 bis 200 Menschen, viermal die Woche, immer mit "neuen" Fragen.

Zwei, Swami Shivaprasad und die Prana-Heilerin Ma Veet Bhavati kennst Du schon seit Jahren. Was bei Tyohar mit Euch geschieht, wie ihr Euch seht und begrüßt, verbindet Euch zu einer glücklichen Gemeinschaft. Die Tyohar-Schüler lächeln einander bei fast jeder Begegnung zu. Im Ashram teilst Du dies Glücksgefühl seltener. Aber das liegt nur an Dir. Andere fühlen anders. Du lässt sie, wie sie Dich.

Deinen Rückflug bestätigst Du im Büro von Kuwait Airways. Von Prems aus überquerst Du zwei Kreuzungen. Du fährst durch ruhige Straßen, die für Lastwagen gesperrt sind. Ein leichte Brise fächelt Dir frische Luft zu. So hast Du 100 Rps. gespart, die eine Reise-Agentur für die Dienstleistung verlangt hätte.

Plausch mit den Friseuren vor ihrem Salon

Zwei Häuser weiter siehst Du ein Schild:
"Lucky Star Gents Hair Dressers (air conditioned)".
Der Ashram-Preis von 350 Rps. für den Haarschnitt ärgert Dich. Also läßst Du es dort, fragst bei der indischen Konkurrenz:
"30 Rupees, come in, please."
O.K., Du gehst das Risiko ein, daß sie Dir den Aids- oder Hepatitis- oder Sonstwie-Virus mit Messer und Schere injezieren. Du entspannst im Sessel. Westliche Popmusik schafft eine vertraute Atmosphäre.
Das Erlebnis des indischen Kopftrommlers und Kopfhausmasseurs möchtest Du im Leben nicht missen. Es sei dem Reisenden wärmstens empfohlen.
Als er sein Rasiermesser auspackt, schaust Du mit Entsetzens geweiteten Augen auf das Risiko-Infektions-Instrument. Entspannt wickelt er eine neue Klinge aus dem Papier, schiebt sie ins Messer und tröstet gefühl- und verständnisvoll:
"Es ist neu."

Und wieder entspannst Du in Indien. Leben und Leben lassen, denkst Du, und gibst 10 Rps. Trinkgeld. Sie wünschen noch ein Foto mit dem Haarschneider. Du gewährst es gerne und versprichst Ihnen die gewünschte Kopie. Vielleicht hängt sie dort nächstes Jahr werbewirksam im Fenster, bildest Du Dir ein.

Auf die erfolgreiche Abwicklung dieser zwei gewichtigen Tätigkeiten prostest Du Dir mit Deinem Lieblingsgetränk, dem süßen, gekühlten Mangosaft zu. Vor dem Friseur stehen sechs Stühle. Dort erholst Du Dich von Deinen drei Stunden Erledigungs-Meditationen.

Der Hausputz war wirklich wieder fällig. Du pantscht durch das Bad. Bei indischer Musik in der Mittagshitze sparst Du so den Ashram-Pool. Die Stunden zum Mittag vergehen wie im Flug.

Überall ist Spaß, überall ist Ashram, Suchende wachsen mit jedem Satz. Eine der beiden jungen Damen, zusammen etwa das Ashram-Durchschnittsalter von 39 Jahren, beklagt sich beim Prems-Kellner:

"Ich brauch was gegen die Fliegen".

Selbst Fliegen lässt Du leben, obwohl rote Einstiche auf Deiner Hand Dich beunruhigen. Es könnten Flohstiche von Tyohars Dachkatzen sein, tröstet Du Dich.

Swami Prem Abijat, der vom Filmprojekt über Goa zu Tyohar gefunden hat, fragt sich beim Mittag, was noch fehlt zum Glück.

Deutsche Touristin im Park von Lucknow 

Nichts, meinst Du, einfach nichts mehr. Du verkaufst ihm Isaacs Shapiros Gedanken vom "instant bliss", Glück in dieser Sekunde, im Bruchteil dieser Sekunde. Isaac Shapiro, ist Schüler des gröbsten und ältesten Meisters Ponjaji aus Lucknow. Der wiederum ist Schüler von dem 1956 verstorbenen Ramana. Bhagwan hörst Du lobend über Ramana reden. C.G. Jung hat sich auf seinem Indien-Trip nicht zu ihm getraut, nur in alte Tempel und Ruinen.

Isaac also verkauft in seinen Satsangs fast jedem Frager sein Instant-Glück, jetzt im Bruchteil dieser Sekunde. Auch damit lässt sich leben, wenn nicht hier, jetzt, ja wann dann?

Also schläfst Du nach dem Essen zu den Klängen der Kundalini auf dem Bänkchen an der Buddha-Halle ein - gegenüber dem Buchladen. Im Bach fließt Wasser, das morgens darin steht. Als nach der Ruhephase sanfte Klänge Dich wecken, sieht Du durch den Bambus weit oben im Himmelsblau stolze Vögel kreisen, frei wie Du selbst.

Zimmernachbar Deva Werner aus München

Du bist so frei, das Angebot des lieben Swami Chaitanyas abzulehnen, der für drei Tage eine Kehrkraft rund um die Buddha-Halle braucht. Sein Inder hat sich den Zeh gebrochen.
"Für einen Tag?",
bittet er Dich.
"Ich bin so beschäftigt",
redest Du Dich raus. Doch als - nach eigenen Angaben - die emotional unterversorgte, ältere Dame im roten Restaurant fragt, was Du machst, da beschädigst Du Ihr Weltbild:
"Nichts, keine Gruppe, keine Arbeit, nicht einmal Meditation."

Als Du mit dem Münchener Center-Leiter Swami Amrit Johannes (Nektar) Namen tauschst, und er Dir mit Deinem "Anand" dann irgendwann Glückseligkeit verheißt, zitierst Du nur Bhagwan, der Elvis nachsang:

"Now or never!"

Den perfekten Tanz von Ileana Citaristi mit elektronischer Musik verlässt Du trotz bequemen Sessels, um in der billig Straßenkneipe Tandoor10 Abendmahl zu feiern. 
Swami Sharan kommt mit seiner Frau, der Du dreiviertel Stunde Gespräch zu Dritt abhandelst: 
"Sei eine großzügige Frau, gib' uns eine Stunde, bitte!"

Ma MiMa, die Freundin daheim, stöhnt am Telefon. Es ist Deine Freundin. Ihr sorgt füreinander. Ihr seid trotz der Entfernung näher zusammen, weil ihr Euch selbst näher kommt.
Swami Deva Werner will den Sessel in der Buddha-Halle nach Lotteriegewinn besetzen lassen. So denkt kein fundamentalistischer Sannyasin. Er ist auch von einem Mini-Master aufgehetzt, Swami Micel Anamo, später Mikaire.
Selbst der "rote Fuchs", die Münchener Hübsche, war wieder bei Tyohar. Auch sie hält den Ashram nicht mehr lange aus ohne Hilfe. Du siehst sie dort leiden.
Dabei war das einander Leben-Lassen noch nie so frei in Sannyas zu fühlen wie Anfang 1997.

Hallelujah! Bhagwan!

Willst und kannst Du Deine spätpubertären Lausbubenstreiche als 16jähriger Bhagwan-Sannyasin weiter schreiben? Wie Du stundenlange Tag- und Nachtgespräche startest, die ohnhin nicht festzuhalten sind? Wie Du Swami Sharans jungem, drallen Eheweib, die daheim sich in Tschador hüllt, "liberation" anbietest, daß sie sich gluckernd streckt und Sharan wie eine Schildkröte den Kopf einzieht? Wie Du Swami Chaitanya gleich zweimal ärgerst:

"Was machst Du so früh hier?"
"Frühstücken vor dem Silent-Satsang bei Tyohar."
"Dem Juden? Den musst Du ja wirklich lieben."
"Ja, meinen Mini-Master. Er hilft mir, den toten Maxi-Master und die tote Rashneeshes-Religion zu überleben.
Aber hast Du mich auch nicht gemeldet, dass ich nicht vor der Buddha-Halle kehre?"
"Nein, Du warst der Einzige, der nicht wollte. Alle andern haben sich gefreut über mein Angebot."
"Ist ja toll, nächst Mal arbeite ich auch mit",
doch sein Lächeln weicht sogleich Naserümpfen:
"Ja, in 10 Jahren, wenn ich das nächste Mal komme."
So bist Du und so genießt Du Dich: voller kleiner Bos- und Gemeinheiten mit sadistischer Grundhaltung. Nur so hast Du zu überleben gelernt. Oder glaubst Du, dass ein Chirurg seinen Job gut machen kann, wenn es ihm nicht Spaß macht, durch Menschenfleisch zu schneiden?
Schließlich bist Du so auf die Welt gekommen, wie Du im silent Satsang von Tyohar gerad wieder erlebt hast, mit Kaiserschnitt ins Chaos Leben. Und wieder schreibst Du und weißt längst warum:
"Für Mutter, Vater und die beiden überlebenden Brüder."
Denn Du willst vor allem, dass sie Dich spirituell so leben lassen, wie Du es verstehst. Und dass ihr neben den geteilten Genen doch endlich es wagt, Eure Spiritualität zu teilen - und natürlich das Erbe, versteht sich.
Denn dass Du glücklich sein lernst, bedeutet nicht, dass Du erfolgreich Geld verdienst. Glück mindert Ehrgeiz.
Doch für 12 Rupees gebratenen Reis vom Plastikteller willst Du Dich nicht einen Tag lang nähren. Du willst Dich für 100 Rupees mittags mästen. Getränke für 57 Rupees sorgen vormittags für Dein Leben und stärken Dich, Leben zu lassen.

27. Back to the Roots