back 2 "enlightenment"

9. Kraftverschwendung

Seit dem letzten Filmtag hängt Swami Premanadas Jacke im engen Schließfach. Keine drei Tage später trefft ihr Euch, dass Du Dein Fach von seiner schweren Jacke befreien kannst. Doch er holt sie sich nicht. Du wirst sie an einen weiteren Ort bringen, ins Center for Transformation, kurz "cft".

Du sollst die Orte eben kennen lernen. So siehst Du, wie in einem Raum unter Bhagwans Bild mit Westerngitarre die Musiker üben.

Du willst wieder Geld wechseln, wo Du die letzten beide Male gewechselt hast. "Es gibt Probleme. Komm nach der WRB gegen 21.00 Uhr wieder."

Ich will mich wieder in die Wunderwelt der Samadhi-Meditation retten mit meiner alten Windjacke, die ich für den Ashram reinigen und rot färben ließ. Doch diesmal heißt es:

"Ich wollte es Dir gestern schon sagen. Die Jacke passt nicht für Samadhi. Das ist eine Sportjacke, komm mit einem Schal. Ein Schal ist o.k."

Bevor Du Dich im Ashram ärgerst, verlass ihn besser. Spar Dir die Kraft. Du brauchst sie.

Bevor Du den Ashram verlässt, ziehst Du Deine warmen Morgenkleider aus. Das Thermometer klettert von 10 auf 30 Grad. Draußen brauchst Du ohnehin keine rote Robe. Roter Pulli, gefärbte Sportjacke und Socken sind in Deinem Schließfach sicher aufgehoben. Vergiss nicht, Deinen Ashram-Pass mit auf den Stadtgang zu nehmen.

 

Verbrennungsstätte am Fluss

Denn bald willst Du wieder zurück. Du brauchst den Platz. In Indien kommst Du leichter in eine Gefühls- und Gedankenwelt, wo Du einen Meister, einen Ashram dankbar annimmst - wenn nicht dieses Leben, eben nächstes.

Du suchst den nächsten Geldwechsler. Vorn hat er sein Geschäft, hinten warten Touristen mit Dollars in den Händen.

Mülltrennung und Verwertung

Der alte Asiate vor Dir blättert 300 US-Dollars hin. Zwei amerikanische Blaue schiebt ihm der Wechsler sofort zurück: "Wir haben nur Geld für 100, komm später wieder."
Also nimmt er sein Rupees-Paket für 100 Dollar, spuckt sich zwischen Daumen und Zeigefinger und beginnt seine 36 Hunderter zu zählen.

Für 500 Mark schiebst Du Dir 120 dieser schmutzstarrenden Scheine ein. Wer Kraft, Geduld und Ausdauer hat, den Reichtum nachzuzählen, ist Profi. Der alte Koreaner schafft es wirklich. Prompt beschwert er sich: "Das sind nur 3500!" 

Wortlos schiebt ihm der Wechsler zwei Fünfziger nach. Bei der Bank würde Dein 500-Mark Schein drei, vierhundert Rupees weniger bringen. Dafür bekommst Du schon neue rote Kleider, mit der die wichtige Wächterin am Samadhi-Zugang Dich zulassen würde - vielleicht. Übrigens: Ich kenne die Dame doch von der Ranch, dämmert mir langsam.

Also spielst Du das Geldwechsler-Spiel als spannenden Ersatz für die Samadhi-Meditation. Du bist an der Reihe.

Der Wechsler öffnet seine Schublade, um mit beiden Händen Bündeln von Scheinen auf seinen Schreibtisch zu wuchten. Die Menge brauchte einen Rucksack zum Transport, mindestens einen Schuhkarton. Entwaffnend grinst er Dich an:

"Jetzt haben wir nur noch Zehner!" Du lächelst glücklich zurück und gehst - ohne Rupees. Solange Du noch Rupees hast, reichen 100 zum Mittags-Mahl bei Prems. Ein Swami hat Dir ohnehin schon 500 geliehen. Im Ashram findest Du meist einen, der aushilft.

 

Ein neues Restaurant anzuradeln, hast Du bei der Hitze schon keine Lust mehr. Also wartest Du wieder bei Prems ab, trinkst Tee. Von da bist Du in drei Minuten im Bett.

Entsetzt schluckst Du warmes Wasser hinunter. Sie haben die Teeblätter darin vergessen. Der Kellner hält das für einen netten Witz, wenn Du sein Lächeln richtig deutest. Du auch.


Touristen-Schätze: Fahrrad und Sitzkissen

Dein gemietetes Fahrrad kennst Du nun auch schon besser. Du hast es tief aus der Reihe gewählt, weil die Felgen vergleichsweise rostfrei glänzten.

Später hast Du die Speicher gesehen: Vorne sind zwei ausgerissen, hinten eine. Die Acht im Rad, das verbogene Pedal, was der Vermieter vergeblich versucht, gerade zu hämmern, der sich drehende und auch noch nickende Sattel sind weitere Überraschungen.

Als Du zuerst das fehlende Licht bemängelt hast, grinst Dich der Radverleihen an: "Es ist doch Nachts überall Licht." Dabei zeigt er mit großzügiger Geste auf die Straßenlaternen, als hätte er sie gepflanzt. Dass der bei der ersten Inspektion solide erscheinende Gepäckträger keine federnde Klammerstange hat, lässt Deinen Vermieter wiederum lächeln. Er gibt Dir großherzig eine Rolle Plastikkordel. Mit der kannst Du Dein WRB-Sitzkissen festbinden, was Dir nachts mit Bezug als Kopfkissen dient.

Diese Schätze wirst Du frohgemut in Indien lassen.

 

Weil das Radschloss klemmt, kaufst Du eben ein anderes. Würdest Du das alte Schrottschloss verlieren, müsstest Du dem Vermieter 50 zahlen. Das neue Schloss kostet 35. Am nächsten Morgen fängt das Metall aus der neuen Schlossschnalle heraus zu bröseln. Nach einigen Tagen wirst Du es wegschmeißen, Schrott.

Immerhin schließt es noch halbwegs. Besser als die Mückenlampe. Die musstest Du umtauschen, weil sie überhaupt nicht arbeitete.

Trotzdem torkeln Mücken durch Deinen Raum. Es muss so sein, wenn keine Mückengitter vor den Fenstern sind. Erschlägst Du sie im Flug, bleibt eine rote Blutspur auf Deiner Hand. Hoffentlich spritzt Dein Blut aus der Mücke, nicht noch das einer verpesteten Ratte.

Irgendwann schaffst Du Deinen Geldwechsel. Du kannst mit Taschen voller Geld ins "Einkaufzentrum" fahren.

Sogar dieser Palmtop erhält eine neue Sicherungsbatterie vom Uhrmacher. Zur alten Batterie vermeldete das System:

"Austauschen!"

Der Uhrmacher prüft die neue und die alte Sicherungsbatterie mit einer Glühlampe. Die brennt bei beiden. So befindet er beide Batterien für gut. Der britische Palmtop misst wohl weniger großzügig als ein indischer Uhrmacher in der MG-Road. Das ist die Einkaufstraße hier, laut und stinkend.

Zwei Tage später wird der Palmtop auch vor der neuen Sicherungsbatterie mit "Austauschen!" warnen.

Ma Jivan Fulwarei, eine junge Japanerin, ist in den unteren Raum eingezogen, wo sie gerade vor einer Woche die Trennwand hochgemauert haben. Der Verputz soll folgen, sobald die Mauer trocken ist.

Als die Kleine sich den Raum ansah und fragte, wie es wäre, flirtest Du mit einem überraschten Gefühl über soviel junge, asiatische Schönheit:

"Es wäre wunderschön, wenn Du hier einzieht."

Die ersten Wochen bleibt Dir die Fremde als irrsinniger Stress. Fährst Du mit dem Taxi in die Stadt Downtown, empfängt Dich eine unvorstellbare Luftverschmutzung. In Europa würden sie die Stadt für den Autoverkehr sperren.

Glücklicher Bettler - im Ashramdistrikt

Der Bettler sitzt auf der Straße, sonnt seine entzündeten Beine. Bei deiner ersten, nächtlichen Radtour zur zwei Kilometer außerhalb gelegenen ABC-Farm musst Du tiefe Löcher umfahren. Im Westen läge zumindest ein Kanaldeckel darüber.

All das regt auf. Wo sollst Du zudem Dein Geld lassen? Im Haus, wo die Japanerin das Hauptschloß verkramt hat? Zudem hat die Putzfrau Chandra noch einen Schlüssel. Und die ist sauer, weil sie keine Putzaufträge mehr bekommt.

So nimmst Du Dein Geld eben mit: 10000 Rupees in der Weste, Westgeld im Gürtel. Das Gefühl ist nicht angenehm, wie eine gemästete Gans durch die fremde Dunkelheit zu radeln. Die Felgen rammen auf Felssteine. Selten siehst Du einen Blondschopf. Immerhin bist Du nicht der einzige Fremde.

Die langmähnige, blonde Schwedin Ma Mukta fühlt sich wohl auch fremd, sucht zudem Unterkunft, hat noch ihren Ashram-Paß verloren. Das alles erfährst Du bei der Morgenlecture. In Ihren großen, blauen Augen spiegelt sich die Morgensonne.

In Gefühlen, Gedanken bleibt die Aufgabe: Erkenne Dich selbt. Wer bin ich? Who am I? Im Samadhi siehst Du Deine Gedanken tanzen. Was immer Du siehst, sieh genauer hin.

 

Die Fantasie läßt die pechschwarze Ma Jivan Fulwarei, eine rothaarige Lilith aus Norwegen, die strohblonde Mukta im Tanz sich wiegen. Drei schöne, junge Frauen mit den Haarfarben Deiner Heimatflagge: Schwarz, rot, gold. Heimweh?

Was immer Du siehst, Dich siehst Du nicht.

Männer verändern ihre Energie wunderbar für Frauen. In der Meera-Abendbar im Ashram tanzt zum Beispiel eine feurige, füllige Schöne aus Venezuela in Deine Nähe. Sie kann noch weniger Englisch als die kleine Fulwarei. Daheim will sie mit ihrem Freund den ersten Ashram in Venezuela eröffnen.

Gedanken wandern zu den WRB-Meditationen zurück. Diese schönste indische Jahreszeit voller Kassen taufen Sannyasins hier "Buddha Field Explosion". Aus aller Welt reisen Sannyasins an. Die Ashram-Priesterschaft zeigt in der WRB die Videos "Last Testament".

Bhagwans Visionen fünf Jahre vor seinem Tod gehen an die Nerven: Drei Viertel der Menschen sind zuviel für die Erde. Also 20 Jahre absoluter Geburtenstop, Abtreibung frei überall, Kinderlosigkeit belohnt, Kinder hart besteuert. Dazu helfen ein paar Kriege, ein paar Seuchen, die Menschlast für Mutter Erde zu mildern.

Sannyasin verzichten jetzt schon auf Kinder. Ihr Überleben ist langfristig eingeplant: Boten neuer Zeit, des notwendig neuen Menschens. Nur, wer bestimmt, was Sannyas ist?

Die WRB füllt jeden Abend die Buddha-Halle mit Tausenden von Menschen. Ma Anand Sheela tanzt fröhlich mit Bhagwan, der nicht müde wird, Ihre Schönheit und ihren Einsatz zu loben. Ma Anand Sheela setzt sich prächtig ins Bild.

Mag sein, dass sich die Ashram-Priesterschaft Sheela als Ordnungsfaktor zurück wünscht. Abends in der Disco frage ich Ma Arup, holländische Hohepriesterin der ersten Stunde:

- "Sheela hat ein Buch geschrieben."

-"Ich weiß, habe es aber noch nicht gelesen."

- "Hat Sheela sich schon mal wieder gezeigt hier?"

- "Bisher nicht. Das geht wahrscheinlich auch nicht, dass sie die Schweiz verlässt. Die Amerikaner wollen ihr einen neuen Prozess machen."

Ob Sheelas Rehabilitation im Gange ist oder nicht, ist schwer zu entscheiden. Einige Punkte sprechen dafür.

So scheinen sich die meisten angeekelt abzuwenden, wenn Du die alten Verbrechen ansprichst. Vielleicht gibt es eine andere Sicht dazu, die Du nicht verstehst.

Vergangen ist vergangen. Aber wäre daraus nicht zu lernen für Gegenwart und Zukunft?

Später klärt  mich Ma Arup noch darüber auf, dass sie seit 10 Jahren Ma Garimo heißt.

10. Alte Freunde