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11. Schutzengel

Du brauchst ihn: Deinen Schutzengel. Jeder Reisende kennt das, doch in Indien kommst Du täglich in Gefahr.

Wenn Du zum Beispiel eine Last auf Deinen Fahrradträger bindest, irgendwann muss sie runterfallen.

Die herabhängende Kordel wird Dich bremsen, wenn sie in Speichen und Kette gerät.

Wenn in Deinem engen Hof vor dem Haus ein Lastwagen herausfahren will, passt Du auf, dass seine schweren Räder nicht über Deine Füße rollen. Dabei kommt Dir ganz spät erst ins Blickfeld, dass jemand am Boden auf den schmutzigen Fliesen liegt. Dem willst Du nicht mit dem Fahrrad über die Füße fahren.

Die Radtour zur MG-Road spart Dir zwar etwa 40, 50 Rupees für Taxis. Doch Du lernst eine Hölle aus Staub, Lärm und unvorstellbarem Gedränge kennen.

Getränkelastwagen mit Reklametafel

Die schweren Busse und Wagen donnern an Dir vorbei, dass Du den Lufthauch spürst. Hunde, Katzen, Schweine, Esel und Kälber trollen sich. Kühe hinterlassen ihren grün glitschigen Dung als Falle.

Ein Stich in den Fuß lässt mich einen Skorpion im Cafe befürchten. Das Jucken könnten Flöhe sein. Denn eine Mutter laust ihr Junges auf dem Bürgersteig.

Der Linksverkehr gibt mir den Rest. Alles stürzt sich in den Verkehr, manchmal in den Kreisverkehr. Irgendwie musst Du mitschwimmen, wenn Du nicht untergehen willst.

Das Lastendreirad siehst Du zu spät. Der Schrei des Fahrers puscht Dich zur Seite. Millimeter breit schneidet das Dreirad mit Auflieger an Dir vorbei.

Die Stadt stinkt, brummt, heult, jault.

Der Ashram mit seiner Ruhe, in dem Du stundenlangen Meditationen nachhängst, hilft. Du vertraust Dich mit gestärktem Schutzschild der Fremde an.

Der Indientrip kommt einem Sturzflug gleich. Meditation gibt Dir den Rettungsfallschirm.

Anspannung und Schrecken können Ausmaße annehmen, dass Du schweigend die geforderten Preise zahlst. Du zahlst zuviel, doch sparst Nerven.

 

Die Mentalität ist unheimlich: Du sollst 26 Rupees zahlen. Da es Ihnen zu anstrengend ist, einen 50 Rupees-Schein zu wechseln, sind sie mit 25 zufrieden.

Jeder Schritt wird zum Abenteuer. Die kleinste Verrichtung zeigt Dir eine vollkommen andere Welt als Deine gewohnte.

Die Sicherungsbatterie, die mir vor zwei Tagen der Uhrmacher verkaufte, konnte nicht halten. Sie war nicht aus Lithium, also nicht hochwertig genug.

So finde ich einen größeren, prächtigeren Uhrmacher. Ein feingliedriger Herr untersucht die Zelle. Er weist mich hinten in den Laden zu einer kleinen Treppe.

Ich folge den Stufen zwei Stockwerke. Oben finde ich eine Werkstatt. Der Mechaniker mit Lupenbrille fischt die passende Zelle, misst ihre Voltzahl: 3,28.

Oshos visioniert in der WRB "Last Testament" ein Amerika ohne Gewalt. Die Ureinwohner, die Indianer, müssten das Land wieder beherrschen, die Weißen in Reservate. Ma Anand Sheela setzt sich prächtig ins Bild.

Dreck und Hast der Stadt werde ich in der WRB nicht los.

Eine ruhigere Strasse nach dem Verkehrszeichen

Doch daheim fehlt wieder Wasser. Ich muss eine wacklige Eisenleiter zwei Stockwerke hochklettern. Etwa 12 Meter oben sind die Wassertanks auf dem Dach. Vor Absturz sichert mich eine kaum kniehohe Mauer.

Irgendein Inder hat seinen Spaß daran, mir den Hahn abzudrehen. Ich muss den Knopf für die Pumpe und den Hahn auf dem Dach finden, wenn ich duschen will.

Auf eine Dachterrasse drei Stockwerke über der Stadt schickt mich auch der Kellner im Zen-Restaurant über der German Bakery. Das Lokal ist voll, die Terrasse frei. Wer die Treppe nach Biergenuss hinab torkelt, hat Chance, aus einem Mauerfenster 15 Meter tief dem Fahrradverleiher auf die Fliesen zu stürzen. Doch Bier ist ohnehin ausverkauft.

Sie lieben Dich nicht hier. Sie leben in ihrem Land und sehen Europäer in unvorstellbarem Maß prassen. Manche müssen ein schmutziges Leben lang mit dem Geld auskommen, was Du in einem Monat verprasst.

Jahrtausendelange Sklaverei, zementiert auch in der Hindu-Religion mit ihren Kasten von den Brahmanen-Priestern bis zu den Unberührbaren lässt die Menschen geduldig ihr Karma Leben um Leben ertragen. Doch tief in ihnen spürst Du auch Hass. Unberührbar sind Berufe wie Schlachter und Schuhmacher zum Beispiel. Die verarbeiten das Leder heiliger Kühe.

Mittlerweile liege ich auf einem geschneiderten Laken von rot glänzender Seide. Das kostet in Indien nicht die Welt, 8 Mark etwa. Nur liegt die Welt bei Dir?

Die kleine Japanerin Ma Fulwarei werkelt noch im Haus, als ich gegen Mitternacht heimkomme. Warum Tuchfühlung mit jungen, schönen Frauen mehr schrecken kann als zum Beispiel mit alten, stinkenden Lastkraftwagen bleibt Geheimnis.

Wer nach Indien, in den Ashram fährt, will Geheimnisse lösen. Nach der Morgen-Lecture schrubbt Ma Fulwarei hingebungsvoll den Ashram-Boden. Ich biete ihr zwei Silber-Pillen "Jin Tan" an. Sie nimmt lächelnd. Von ihrem Gesicht kann ichlesen, wie ihr die Pillen schmecken: recht gut.

12. Poona-Paradies